Michael Mary, Liebe will riskiert werden, 2016. (Auch als E-book erhältlich)
Als Christen haben wir durch unsere Gemeinden und auch der Bibel ein relativ konkretes Bild von der Ehe. Aber als Christen leben wir in unserer heutigen Gesellschaft und die hat ganz
andere Kriterien, wie Liebe und ggf. Ehe sein soll. Auch das fließt alles zumindest unbewusst in unsere Beziehungen ein.
Michael Mary ist langjähriger Beziehungscoach und Psychotherapeut. Das Buch ist aber nicht christlich geprägt und er beschreibt sehr pragmatisch, dass die Paarbeziehung
und Ehe als Versorgungsgemeinschaft in unserer Gesellschaft ausgesorgt haben. Er definiert am Anfang des Buches verschiedene Arten von Liebe, unterschiedliche Formen
von Liebesbeziehungen (partnerschaftliche, freundschaftliche und leidenschaftliche), die Aufgaben der leidenschaftlichen Liebe, was diese verlangt und welche Paradoxe dadurch
entstehen, sowie die Chancen und Risiken dieser Liebe. Und zwischendurch immer wieder, wieso diese für uns als Individuen wichtig ist.
Mir hat dieses Buch einige Aha-Erlebnisse verschafft, weil es immer wieder Themen ansprach, die ich als solche so nie definiert hätte mit meiner „christlichen Brille“
und es lieferte auch noch schlüssige Erklärungen dazu. Ich möchte nur mal ganz gekürzt zusammenfassen worum es im Buch geht und dann meine Gedanken, warum es für uns
Christen wichtig ist, auch dieses Wissen in der Partnerwahl zu berücksichtigen.
Also zum Buch:
Heute haben wir eine sehr individualisierte Gesellschaft in der jeder Mensch eigenverantwortlich komplexe Aufgaben in seinem Leben zu erledigen hat. Wir können von außen nur das
Verhalten eines Menschen erkennen und annehmen, nur mit engen Freunde teilen wir unsere Innenwelt. Aber unser Innenleben ist vielschichtig und ändert sich
durch unsere tägliche Lebenserfahrung und -entscheidungen ständig. Darum ist unser "Selbst" eben sehr instabil. Früher musste man sich einer Gruppenidentität anpassen und hatte
genaue Vorgaben, wie man zu sein hatte. Heute muss man sich von diversen Vorbildern Versatzstücke in seine Identität integrieren. So entsteht eine Vorstellung von
seinem Selbst und seiner Identität, aber dieses instabile Konstrukt braucht Bestätigung und Resonanz von außen, sonst verliert man sich. Ein Grund, warum heute die Partnersuche
auch immer komplexer und schwieriger wird.
Lange Zeit war die partnerschaftliche Beziehung als Versorgungsgemeinschaft in unserer Gesellschaft im Vordergrund. Als glücklich galten Paare, die sich arrangierten
und friedlich zusammen etwas aufbauten. Besonders glückliche Paare hatten dazu noch eine freundschaftliche Beziehung über die Jahre aufgebaut, in der man auch Persönliches teilte.
Der Autor verweist sogar darauf, dass es Zeiten gab, in der die Gesellschaft eine leidenschaftliche Liebe in der Ehe ablehnte, weil sie nur als flüchtiges Gefühl galt,
das als unbeständig und zerstörerisch gesehen wurde.
Heute dreht sich aber alles um dieses Gefühl. Unsere Einzigartigkeit und Individualität ist in unserer Gesellschaft wichtig, es fehlt aber immer öfter eine
Gemeinschaft, die einem Geborgenheit gibt. Freundeskreise ändern sich aufgrund wechselnder Lebenssituationen häufig. Und gute Freunde sehen nur Teile unserer Innenwelt, so ist
man im innersten Kern seiner Persönlichkeit immer einsam. Die Einsamkeit erschafft dann die Sehnsucht nach einer tiefen Beziehung mit einem Gegenüber, das uns als Ganzes annimmt.
Diese Sehnsucht kann nur eine leidenschaftliche Liebesbeziehung lindern, denn nur der Liebespartner kann diesen inneren Kern erkennen und annehmen. Es geht in der Liebesbeziehung nur um
dieses Gefühl, als Individuum der wichtigste Mensch für jemanden zu sein und GANZ geliebt zu werden. Sie braucht weder gemeinsame Werte und Freunde, noch gleiche Interessen wie die
anderen Beziehungsformen. Diese leidenschaftliche Liebe kann sehr erfüllend sein, aber man riskiert jedes Mal verletzt zu werden und zwar in seinem innersten Kern
der Persönlichkeit. Aber lässt man sich ganz auf seinen Partner ein, kann sie einen mehr bereichern als die anderen Formen der Liebe, weil sie sich auf uns als individueller Mensch
bezieht und diesen vollständig annimmt.
Darum suchen wir für die Ehe einen Partner mit dem man das Projekt Familie, eine freundschaftliche Beziehung mit gemeinsamen Hobbies und Liebesbeziehung gleichzeitig
führen kann. Was aber, wenn man sich die Voraussetzungen für die unterschiedlichen Beziehungsformen anschaut, und sie passen nicht zusammen?
Wieso ist dieses Wissen jetzt für uns als Christen so wichtig?
Eben weil wir trotz all unserer christlichen Werte in dieser Welt leben, deren Einfluss oft unterschwellig in uns wirkt. Natürlich ist eine leidenschaftliche Liebe schön, noch besser
ein Partner, der dazu noch alle Ansprüche einer partnerschaftlichen und freundschaftlichen Beziehung erfüllt, und dadurch wichtig bleibt, wenn die Leidenschaft später mal etwas
abflaut.
Die Bibel spricht im Alten Testament (z.B. Sprüche 31) und auch in den Briefen im Neuen Testament in der Regel von einer im Buch als partnerschaftlichen Beziehung definierten
Ehe. Laut Michael Mary hat diese aber ganz andere Voraussetzungen als die jetzt geforderte leidenschaftliche Liebe. In der partnerschaftlichen Liebe braucht es keine
gemeinsamen Hobbies und man teilt nicht unbedingt sein Innerstes mit dem Partner. Es geht vorwiegend um gemeinsame Projekte. In der Bibel war es die Familie, Kindererziehung und
gemeinsames Verwalten des Besitzes. Dazu braucht es ähnliche Werte und Respekt, mehr nicht.
Wir suchen heute Partner für eine leidenschaftliche Liebe, einen, der uns ganz liebt und uns in unserer Entwicklung als Mensch weiterhilft. Für die leidenschaftliche Liebe
braucht es die Spannung der Gegensätze, passt man sich im Laufe der Zeit dem Partner an, ist die Spannung und somit die Leidenschaft weg. Die leidenschaftliche Liebe baut nur
auf diesem Gefühl der "Ganzliebe" auf und ist das Gefühl weg, ist die Beziehung kaputt. Deshalb sind die in der Bibel erwähnten Ehen hauptsächlich auf partnerschaftlicher Liebe
begründet, die freundschaftliche und die leidenschaftliche Liebe bauen dann darauf auf und werden nur selten kurz angedeutet.
Darum ist es meiner Meinung nach wichtig sich seinen Ehepartner so zu wählen, dass es eine gute Mischung aus Gemeinsamkeiten und Unterschieden gibt, damit die
partnerschaftliche und freundschaftliche Liebe funktioniert, wenn die leidenschaftliche Liebe nachlässt. Diese leidenschaftliche Liebe ist schön und wird von den meisten zu Recht
als wichtig angesehen, aber keiner von uns kann sie im ganzen Umfang seinem Partner geben und sie vom Partner im vollem Umfang zu erwarten, hat sicher schon viele Beziehungen
verhindert bzw. zerstört.
Jedes Paar steht heute vor der Herausforderung, diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu definieren, damit es für sich weiß, was es in den unterschiedlichen
Beziehungsformen jeder von ihnen braucht, damit die Ehe funktioniert, auch dann wenn die Leidenschaft nachlässt. Und das immer wieder neu, weil sich jeder Partner individuell
weiterentwickeln wird und vom anderen darin neu entdeckt und angenommen werden will. Das ist aber auch immer die große Chance für eine neue leidenschaftliche Liebe in langen
Beziehungen.
Aber ich verstehe die Bibel auch so, dass wir die im Buch definierte "Ganzliebe" in unserer Beziehung zu Gott suchen sollen (z.B. Sprüche 8,17). Und das Gott uns schon immer als
einzigartigen Menschen ganz individuell vollkommen liebte, noch bevor wir als Gesellschaft unsere Individualität entdeckten und einforderten. Das ist doch auch ein schöner
Gedanke!
Und der Trost für uns Singles: Wir müssen nicht verzweifelt suchen, weil wir sonst ohne Liebespartner Mangel erleiden. Wir werden von Gott vollkommen
geliebt und in unseren Glaubensgemeinschaften können wir uns mit unserer Individualität einbringen und weiterentwickeln. Aber auch dazu müssen wir Gemeinschaft riskieren, auf
andere zugehen und diese in ihrer Einzigartigkeit annehmen.
Für uns rezensiert von Barbara Hauer, christliche Lebens- und Sozialberaterin i. A. © April 2018.
Kontakt: barbara.hauer@gmail.com.